Exkursion nach Russland (St. Petersburg & Wladimir) mit dem Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte
Einhundert Jahre liegt die Russische Revolution nun zurück. Nicht nur hob sie die alte Ordnung Russlands aus den Angeln, sie markierte auch einen Neuanfang voller Hoffnungen, die nicht selten in tragische Enttäuschung mündeten. Auch anlässlich dieses für Russland und die Welt so wichtigen Jubiläums reisten 14 Studierende, zwei Doktoranten und ein Gasthörer gemeinsam mit Herrn Dr. Florin und Frau Prof. Dr. Obertreis nach St. Petersburg, dem zentralen Ort der Revolution, sowie nach Wladimir, Erlangens russische Partnerstadt.
Der erste Tag stand ganz im Zeichen der Sehenswürdigkeiten St. Petersburg. Zunächst ging die Gruppe zur Kasaner Kathedrale, die ganz in der Nähe des Hostels liegt. Nach der druchaus beschwerlichen Suche nach einer geldwechselnden Bank ging die Gruppe zur ersten katholischen Kirche der Stadt, die von der polnischen Minderheit gegründet wurde, machte dann einen Abstecher zum Winterpalais und ging weiter zur Isaakskathedrale, dem Ehernen Reiter und der Peter-und-Paul-Festung, zur Petersburger Moschee sowie dem für die Revolutionsmythologie so wichtigen Panzerkreuzer Aurora. Die letzte Sehenswürdigkeit dieses langen Tages war die Auferstehungskirche, die durch ihre moskovitische Architektur deutlich aus dem sonst dominant klassizistischen Stadtbild heraussticht. Der Großteil der Gruppe ließ den Abend noch in einer Bar in der Nähe des Hostels ausklingen, wo der russische Wodka getestet und mehr oder weniger genossen wurde.
Der zweite Tag begann mit einem fast zweistündigen Marsch durch die Stadt, der das Smolnyj-Institut zum Ziel hatte. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, auch die Stadt außerhalb des unmittelbaren Zentrums zu erleben und einen weiteren zentralen Ort der Revolution zu besichtigen. Am Nachmittag fuhren wir mit zwielichtig aussehenden Taxis zu einem Treffen mit Historikern der Akademie der Wissenschaft. Die Gruppe erhielt hier einen Einblick in die kontroversen Debatten über die Revolution, die in Russland noch längst nicht abgeschlossen sind. Denn, so die Historiker auf dem Podium, das öffentliche Interesse für die Revolution in diesem Jubiläumsjahr sei viel größer, als sie es sich je erträumt hätten. Es folgte ein Besuch des hausinternen Archivs, bei dem uns eine wenig bekannte Sammlung von Archivalien vorgelegt wurde, darunter nicht nur zahlreiche russische Urkunden, sondern auch wichtige, von Nikolaj Lichatschew im 19. Jahrhundert gesammelte Quellen zur deutschen und westeuropäischen Geschichte.
Der dritte Tag begann mit einem Besuch der Eremitage, die, wie nicht anders zu erwarten, aufgrund der herrschaftlichen Architektur beeindruckte. Nach der Mittagspause gab es dann das Kontrastprogramm: Die Besichtigung einer so genannten kommunalka. Die Wohnungsinhaberin und Gastgeberin begeisterte mit ihrer herzlichen Persönlichkeit und den amüsanten Geschichten, die sich in dieser Gemeinschaftswohnung über die Jahrzehnte hinweg ereignet haben. So eröffnete sich ein sehr persönlicher Zugang zur Alltagswelt in der Sowjetunion. Am Abend dieses Tages ging ein Teil der Gruppe in das Michajlowskij-Theater, um sich die Oper „Evgenij Onegin“ anzusehen, die durch ihre moderne Inszenierung polarisierte. Der andere Teil besuchte das Ballett „Sylvia“ im Marijnskij-Theater.
Am letzten Tag in St. Petersburg besuchten wir zunächst die Higher School of Economics, wo uns Prof. Julia Lajus das dort angebotene Master-Programm „Usable Pasts: Applied and Interdisciplinary History“ vorstellte. Ein spannender Kontrast zu den bisherigen Besichtigungen waren am Nachmittag die Werke der berühmtesten russischen Künstler im Russischen Museum. Bemerkenswert war auch die Ausstellung der Werke von Wasilij Wereschtschagin mit ihren Reiseimpressionen aus Zentralasien und Fernost. Am Abend machte sich die Gruppe schließlich auf den Weg zum Bahnhof, um per Nachtzug nach Vladimir zu fahren. Das Schlafen in einem russischen Nachtzug war ein Erlebnis für sich, jedoch war es für die meisten eine alles andere als erholsame Nacht. Denn bereits gegen halb fünf in der Frühe erreichten wir den Bahnhof in Vladimir.
Nach dem Frühstück ging es gleich in die Universität, wo eine Delegation russischer StudentInnen auf uns wartete. Bei dem anschließenden Gespräch gewannen wir viele Erkenntnisse über den Alltag russischer Studierender, beispielsweise dass die zu erwartende Bezahlung für angehende Akademiker in Russland weit niedriger ist als in Deutschland. Andererseits war zu erkennen, wie eng das Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden in Russland zu sein scheint. Trotz einiger Anfangsschwierigkeiten entfaltete sich eine lebhafte Diskussion über die Revolution, Geschichtspolitik und – unterricht in beiden Ländern.
Nach der Mittagspause folgte eine Stadtbesichtigung mit der kenntnisreichen Stadtführerin Jelena Ljubar. Zunächst besichtigten wir die Demetrius-Kathedrale, ein von außen reich mit Reliefs geschmückter Kreuzkuppelzentralbau aus dem 12. Jahrhundert. Der Innenraum ist sehr schlicht, allein einige wenige Fresken aus der Erbauungszeit und ein Dachkreuz, das nun am Altar steht, schmücken das Innere der Kirche. Dann gingen wir zur nahe gelegenen Mariä-Entschlafens-Kathedrale, die ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert und der Zeit des Großfürstentums Wladimir-Susdal stammt. Im Inneren befinden sich eindrucksvolle Fresken von Andrej Rubljow aus dem 15. Jahrhundert, die unter anderem eine Darstellung des Jüngsten Gerichts zeigen.
Den letzten Tag unserer Exkursion verbrachten wir im kleinen ländlichen aber historisch wichtigen Ort Susdal. In der dortigen Erlöser-Verklärungs-Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert durften wir einem fünfköpfigen Männerchor bei der Interpretation eines Abendgebets in Altrussisch zuhören. Eine weitere Sehenswürdigkeit stellte der Glockenturm der Anlage dar. Um 12 Uhr hörten wir dem dort per Hand intonierten Glockenspiel zu, das überraschend dynamisch und rhythmisch klingt. Vom Kloster aus liefen wir dann zum Susdaler Kreml, wo wir die Mariä-Geburts-Kathedrale aus dem 13. Jahrhundert besichtigten. Die letzte Station in Susdal war das Freilichtmuseum mit Bauernhäusern und Holzkirchen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. In der Kirche konnten wir im Vergleich zu den bisher besichtigten Kircheninnenräumen eine sehr einfach gehaltene Ikonenwand sehen. Schnitzereien setzten die Ikonen stimmungsvoll in Szene und handgewebte Läufer sorgten für ein heimeliges Gefühl.
Nach einer ereignisreichen Woche machten wir uns am 28. Mai wieder auf den Weg zurück nach Deutschland. Zunächst hatten wir drei Stunden in einem eiskalten Zug bis nach Moskau auszuharren, der von Kleinwarenverkäufern und einer in Tarnanzügen gekleideten Gesangsgruppe frequentiert wurde. In Moskau konnten wir dann auf dem Weg vom Bahnhof zum Flughafen einen flüchtigen Blick auf die reich verzierten U-Bahn-Stationen erhaschen. Letztlich kamen wir jedoch alle pünktlich und wohlbehalten wieder in Nürnberg bzw. Erlangen an. Die Exkursion hat uns viele neue und lehrreiche Einblicke in die russische Geschichte und Gegenwart eröffnet, an die wir während unseres weiteren Studiums sicher noch oft denken werden.