„Zentralasien und die Dekolonisierung der Osteuropaforschung“
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bewegt gerade die Welt. Moritz Florin hat dazu einen Text unter dem Titel „Zentralasien und die Dekolonisierung der Osteuropaforschung. Gedanken anlässlich des russischen Überfalls auf die Ukraine.“ auf zeitgeschichte online veröffentlicht.
Hier ein kleiner Anleser, zum gesamten Text gelangen Sie hier:
„In Kazan, inmitten jener Stadt, mit deren Eroberung im Jahr 1552 das Russische Imperium Gestalt angenommen hatte, trafen sich im Sommer 2016 Wissenschafter:innen und Aktivist:innen aus der Russischen Föderation, Tadschikistan, Kirgistan, Usbekistan, Kasachstan, Polen und Tschechien, aus dem Iran, Indien, den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Italien. Das schöne Wetter, die Ausflüge nach Svijažsk und Bolgar und die Kneipenabende vermittelten den Eindruck von Normalität, vielleicht gar eines Aufbruchs. Dennoch: Wir Teilnehmer:innen wurden das Gefühl nicht los, dass unsere Gespräche in englischer Sprache vor Ort kaum wahrgenommen wurden. Auch damals schon durchzog der Krieg in der Ukraine die Diskussionen. Es fühlte sich falsch an, diese Konferenz in einem Staat durchzuführen, der seit zwei Jahren einen Teil des Nachbarlandes besetzt hatte. Ich selbst hielt einen Vortrag auf einem Panel, das von der Diskriminierung von Tschetschenen und Krimtataren innerhalb der Russischen Föderation und auf der soeben besetzten Krim handelte, doch niemand aus der Stadt, in der wir uns befanden, hörte uns zu.
Welches war also unsere Rolle als Wissenschaftler:innen in diesem Staat, in dem muslimische Migrant:innen aus Zentralasien wie Angehörige einer niederen Kaste behandelt wurden, dessen Einwohner:innen sich angesichts der Besetzung der Krim von einem neuen Hurrapatriotismus hatten mitreißen lassen und in dem kürzlich ein Politiker wie Boris Nemcov, der sich offen gegen die Politik Putins gewandt hatte, ermordet worden war?“